Welche Sprache spricht Gott? (eBook)
160 Seiten
wbg Theiss (Verlag)
978-3-8062-4497-7 (ISBN)
Thomas Bauer ist Professor für Islamwissenschaft und Arabistik an der Universität Münster, Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste und wurde mit dem Leibniz-Preis der DFG ausgezeichnet. Er ist außerdem Preisträger des Tractatus 2018 und erster Preisträger des wbg-Wissen-Preises, der ihm 2019 für sein Buch »Warum es kein islamisches Mittelalter gab. Das Erbe der Antike und der Orient« zugesprochen wurde. Prof. Dr. Michael Seewald lehrt Dogmatik und Dogmengeschichte an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Alfred Bodenheimer ist Professor für Jüdische Literatur- und Religionsgeschichte an der Uni Basel. Er ist nicht nur als Judaist sehr renommiert, sondern veröffentlicht auch Kriminalromane rund um die Fälle des Rabbi Klein. Das Verhältnis von Sprache und Religion ist also gleich in mehrfacher Hinsicht bei ihm präsent.
Thomas Bauer ist Professor für Islamwissenschaft und Arabistik an der Universität Münster, Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste und wurde mit dem Leibniz-Preis der DFG ausgezeichnet. Er ist außerdem Preisträger des Tractatus 2018 und erster Preisträger des wbg-Wissen-Preises, der ihm 2019 für sein Buch »Warum es kein islamisches Mittelalter gab. Das Erbe der Antike und der Orient« zugesprochen wurde. Prof. Dr. Michael Seewald lehrt Dogmatik und Dogmengeschichte an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Alfred Bodenheimer ist Professor für Jüdische Literatur- und Religionsgeschichte an der Uni Basel. Er ist nicht nur als Judaist sehr renommiert, sondern veröffentlicht auch Kriminalromane rund um die Fälle des Rabbi Klein. Das Verhältnis von Sprache und Religion ist also gleich in mehrfacher Hinsicht bei ihm präsent.
Inhalt
Warum wir drei Essays über die Sprache Gottes
geschrieben haben
Thomas Bauer, Alfred Bodenheimer, Michael Seewald . . . . . . . . . . 7
Die drei Sprachen Gottes im Judentum:
Gesetz, Geist und Geschichte
Alfred Bodenheimer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
"Eines hat Gott gesprochen, zweierlei habe ich gehört."
Über die Sprache Gottes als Thema christlicher Theologie
Michael Seewald . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
Die undeutlich-deutliche Sprache Gottes im Islam
Thomas Bauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
„Eines hat Gott gesprochen, zweierlei habe ich gehört.“ Über die Sprache Gottes als Thema christlicher Theologie
Michael Seewald
Einleitung: Drei Bedeutungen von „Sprache“
Da die Bibel Gott als einen sprechenden Gott, einen Deus loquens (Jes 45,19), verkündet, ja sogar davon ausgeht, Gott habe „viele Male und auf vielerlei Weise“ gesprochen (Hebr 1,1), ist es aus Sicht des christlichen Glaubens nicht abwegig, über die Sprache Gottes nachzudenken. Die Frage – welche Sprache spricht Gott? –, die diesem Bändchen seinen Titel gibt, könnte so verstanden werden, als ginge es darum, welche Einzelsprache Gott spreche: Hebräisch oder Griechisch, wenn man an die Bibel denkt, oder Arabisch, die Sprache des Korans, vielleicht auch Latein, die Liturgiesprache der römischen Kirche? Die Frage so zu deuten, ist unergiebig, ihr zumindest kurz nachzugehen jedoch nicht ohne Reiz, weil sich auf diesem Wege einige Unterscheidungen dessen gewinnen lassen, was unter dem Begriff der Sprache verstanden werden kann.
Hilarius von Poitiers, ein Bischof, der in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts lebte, schrieb, dass das Geheimnis des göttlichen Willens, das sacramentum uoluntatis Dei,1 sich in drei Sprachen kundtue: auf Hebräisch, Griechisch und Latein. Hilarius bezieht sich dabei auf das Johannesevangelium. Dort wird erzählt, Pontius Pilatus, der römische Präfekt von Judäa, der Jesus zum Tod verurteilte, habe eine Inschrift anfertigen und über dem Kreuz aufhängen lassen. „Die Inschrift war hebräisch, lateinisch und griechisch abgefasst“ (Joh 19,20). Die Heilsbedeutung des Todes Jesu, den der Verfasser des Johannesevangeliums in seinem Prolog als fleischgewordenes „Wort“ (Joh 1,14) vorstellt – auch ein Begriff, der zum semantischen Feld von Sprache und Sprechen gehört –, wird der Welt somit in hebräischer, griechischer und lateinischer Sprache kundgetan. Warum in diesen Sprachen?
Die naheliegende Antwort, dass die Inschrift des Kreuzes sich des Lateinischen als römischer Amtssprache, des Griechischen als im östlichen Mittelmeerraum verbreiteter Umgangssprache sowie des Hebräischen als in Jerusalem gepflegter Hochsprache bediente, genügte den christlichen Schriftstellern der späten Antike und des Mittelalters nicht.2 Der Dichter Prudentius zum Beispiel, der etwas jünger als Hilarius war, gab in seiner Apotheosis, einem Lehrgedicht, zu bedenken, die dreisprachige Inschrift auf dem Kreuz Jesu spiele auf den hebräischen Schreibstil (Hebraeus stilus), die Fülle Griechenlands (Attica copia) und die Beredsamkeit Italiens (Ausoniae facundia)3 an. Er interpretiert den Begriff der Sprache im metonymischen Sinne: Das Hebräische, Griechische und Lateinische stehen für unterschiedliche Aspekte, die über einzelne Sprachen hinausgehen. Prudentius zufolge gibt sich das göttliche Wort in den Heiligen Schriften der Hebräer zu verstehen, es kann aber auch mithilfe der griechischen Philosophie durchdacht werden und lässt sich durch die Rhetorik der Römer verkünden. Das empfangende Moment des christlichen Glaubens, seine Durchdringung mithilfe einer geschulten Vernunft und seine Verkündigung – kurz gesagt: der Bezug auf die Bibel, die Unentbehrlichkeit philosophischen Denkens und die Notwendigkeit, das Gelesene und Gedachte wiederum ins Wort zu fassen – sind, so könnte man Prudentius deuten, untrennbar miteinander verbunden.
Der Begriff der Sprache ist also mehrdeutig. Es lassen sich mindestens drei Ebenen unterscheiden.
Sprache kann erstens als bedeutungsvermittelndes Zeichensystem verstanden werden (Sprache 1). Wenn in einem solchen Zusammenhang von Einzelsprachen, etwa dem Hebräischen oder Griechischen, dem Deutschen oder Französischen, die Rede ist, bezieht sich dies auf Fragen des Wortschatzes, der Grammatik oder Regeln der Aussprache, aber auch auf Funktionen, die bestimmten Ausdrücken zugeordnet werden. Mittels des „Gewebe[s]“4 einer Sprache kann zum Beispiel etwas bezeichnet werden (man nennt dies die semantische Funktion der Sprache), es kann etwas behauptet oder verneint werden (was als kataphatische oder apophatische Funktion umschrieben wird), es können Sätze zu logischen Zusammenhängen verbunden werden (man spricht dann von der syllogistischen Funktion der Sprache), oder es können komplexe Begriffe gebildet werden (womit die Sprache noetische Funktion entfaltet).5 Vor allem der letztgenannte Aspekt der Begriffsbildung ist in den Einzelsprachen unterschiedlichen Bedingungen unterworfen.
Sprache kann daher zweitens auch die „Sprachwelten“ umschreiben, die die Artikulation bestimmter Einsichten erst ermöglichen (Sprache 2). Denn Sprache ist „nicht nur ein reproduktives Instrument zum Ausdruck von Gedanken“, sondern es ist die Sprache, die „vielmehr selbst die Gedanken formt, Schema und Anleitung für die geistige Aktivität des Individuums ist, für die Analyse seiner Eindrücke und für die Synthese dessen, was ihm an Vorstellungen zur Verfügung steht.“6 Diesem Aspekt wurde in linguistisch sensibilisierten Strömungen der Sprachphilosophie besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Die Sprache ist nicht bloß Werkzeug zur Beschreibung des Gegebenen, sondern sie formatiert die Art und Weise, in der Menschen auf als gegeben Wahrgenommenes zugreifen. Der sprachliche Ausdruck macht damit, paradoxal formuliert, überhaupt erst „seinen eigenen Inhalt möglich“.7
Sprache kann drittens über Einzelsprachen und deren Sprachwelten hinausgehend jede aus einer Beobachterperspektive als bedeutungsvoll wahrgenommene „Erscheinungsform des Universums“8 bezeichnen (Sprache 3). Wenn in der bildenden Kunst etwa von der Formensprache eines Objektes oder in der Musik von der Klangsprache eines Stückes die Rede ist, impliziert dies, dass ein Betrachter dem betreffenden Phänomen etwas Gehaltvolles entnehmen zu können glaubt, das Werk also im metaphorischen Sinne zu ihm spricht, ohne dass es im wörtlichen Sinne anfangen würde, zu parlieren.
Das Wort Gottes und die Gefahr seiner polemischen Indienstnahme
Die beschriebenen drei Ebenen der Sprache sind in unterschiedlicher Weise zugänglich. Wer eine Einzelsprache verstehen oder sprechen will, muss sich Vokabular, Grammatik und Phonetik dieser Sprache aneignen (Sprache 1). Wer Kunstwerken etwas Bedeutsames entnehmen möchte, muss sie interpretieren, was kontrovers vonstatten gehen kann, aber nicht beliebig, da eine gute Interpretation sich neben ihrer subjektiven Note auch durch den diskutablen Bezug zu jenem Gegenstand auszeichnet, den sie auszulegen sucht (Sprache 3). Problematisch bleibt jedoch, wie Zugang zu jenen Aspekten gewonnen werden kann, die den „Hintergrundscharakter der Sprachphänomene“9 betreffen (Sprache 2).
So nachvollziehbar es erscheint, dass eine Sprache die Welt nicht einfach abbildend darstellt, sondern dass unser Weltzugang durch Sprache erst Gestalt gewinnt, so schwierig ist es, konkrete Charakteristika des mit einer bestimmten Einzelsprache verbundenen Weltzugangs herausarbeiten zu wollen. Bei solchen Versuchen lauern, besonders wenn sie sich mit religiösen Erwägungen und Interessen verbinden, Klischees, die argumentativ so verbaut werden können, dass sie eine Aufwertung der eigenen Glaubensgemeinschaft unter Abwertung anderer Gemeinschaften betreiben.
Klischees über Wahrheit auf Griechisch und Wahrheit auf Hebräisch
Tertullian, der in der Mitte des 2. und zu Beginn des 3. Jahrhunderts lebte, stellte die Frage: „Was also hat Athen mit Jerusalem zu tun? Was die Akademie mit der Kirche?“10 Athen und Jerusalem werden von ihm als Allegorien eingeführt. Athen, Sitz der platonischen Akademie, repräsentiert die auf Vernunfterkenntnis zielende, philosophische Gelehrsamkeit der Griechen, während Jerusalem als Ort, an dem der Tempel stand und an dem sich Tod und Auferstehung Jesu ereigneten, den Glauben darstellt. Die Frage, was Athen mit Jerusalem zu tun hat (oder besser: seiner Meinung nach zu tun haben sollte), beantwortete der als Jurist zwar gebildete und eloquente, der griechischen Philosophie aber ablehnend gegenüberstehende Tertullian eindeutig: nichts. Wer in der Einfachheit seines Herzens an Jesus Christus glaube, brauche nicht mehr zu forschen oder die Anstrengung philosophischen Denkens auf sich zu nehmen.
Die meisten christlichen Autoren der Antike und des Mittelalters sowie jene Theologen der Neuzeit, die der Philosophie zugetan waren, sind dieser These nicht gefolgt, obwohl sie Tertullian in anderen Bereichen, vor allem was die Profilierung des Lateinischen als einer theologischen Fachsprache angeht (das Wort trinitas, wörtlich „Dreieinigkeit“, stellt einen Neologismus Tertullians dar), viel verdanken. Tertullian ist es jedoch gelungen, die begrifflichen Eckpfeiler einer bis in die Gegenwart andauernden Diskussion zu setzen: Man hat die allegorische Aufladung der Städtenamen Athen und Jerusalem beibehalten, die Zuordnung beider unter christlichen Vorzeichen aber so gewendet, dass man das Christentum dafür rühmen konnte, den Gegensatz zwischen Athen und Jerusalem als historisch einmalige Synthese zwischen Wissen und Glauben, Philosophie und...
| Erscheint lt. Verlag | 26.9.2022 |
|---|---|
| Verlagsort | München |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Philosophie ► Allgemeines / Lexika |
| Schlagworte | Allah • Bibel • Christentum • Gespräch • Gespräch mit Gott • Gott • Gott Buch • Gottesvorstellung • Gott im Christentum • Gott im Islam • Göttliche Offenbarung • Interdisziplinär • Interreligiös • Islam • Judentum • Judentum Gott • Kanon • Kommunikation • Kommunikation mit Gott • Koran • Monotheismus • Offenbarung • Propheten • Sammelband • Sprache Gottes • Sprechen • Textinterpretation • Textkritik • Tora • Weltreligion |
| ISBN-10 | 3-8062-4497-9 / 3806244979 |
| ISBN-13 | 978-3-8062-4497-7 / 9783806244977 |
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