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Der letzte Engel - Der Ruf aus dem Eis (eBook)

Band 2
eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
544 Seiten
cbj Kinder- & Jugendbücher (Verlag)
978-3-641-15649-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der letzte Engel - Der Ruf aus dem Eis -  Zoran Drvenkar
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Der letzte Engel kehrt zurück
Stell dir vor, die Unsterblichkeit klopft an deine Tür und raubt dir dein Leben.
Stell dir vor, du heißt Motte und erwachst mit zwei Flügeln auf dem Rücken.
Und dann gehst du auf deine eigene Beerdigung und bist für niemanden sichtbar, außer für zwei alte Damen.
Und diese alten Damen haben sehr großes Interesse daran, dir deine Flügel abzunehmen.
Stell dir vor, du bist der letzte Engel.
Und jetzt stell dir vor, du wirst wiedergeboren und dein erster Atemzug wandert um die Welt und lässt die Toten auferstehen.
Stell dir das mal vor.



Zoran Drvenkar wurde 1967 in Kroatien geboren und zog als Dreijähriger mit seinen Eltern nach Berlin. Seit über 20 Jahren arbeitet er als freier Schriftsteller und schreibt Romane, Gedichte und Theaterstücke über Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Zoran wurde für seine Bücher mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und lebt heute in der Nähe von Berlin in einer ehemaligen Kornmühle.

WILLKOMMEN IM LEBEN

Und dann ist da ein Mann, der nicht an Engel glaubt. Er glaubt nicht an den Tod und auch nicht an das Leben. Der Mann ist so erfüllt von Sehnsucht, dass er keinen klaren Gedanken fassen kann. Die Sehnsucht ist eine Flamme, die hell und klar in seinem Verstand brennt.

Und sie brennt.

Und sie lodert.

Und sie treibt ihn an.

Ein Wagen hupt, jemand ruft, der Mann geht weiter.

Sein Hemd ist neu und knarrt bei jedem Schritt. Der Anzug ist oft getragen worden, auch er gibt Laute von sich. Es sind müde Laute. Als hätte der Anzug seine besten Tage hinter sich und wollte endlich ruhen. Dazu erklingt das beständige Klopfen der Schuhsohlen. Leder auf Stein. Der Takt ändert sich nicht, der Mann schreitet beharrlich voran.

Die Leute weichen aus.

Die Autos bremsen.

Er ignoriert das Rot der Ampel und geht weiter.

Der Mann sieht nichts um sich herum, er spürt nichts um sich herum, er existiert nur aus einem urmenschlichen Verlangen heraus und dieses Verlangen ist Sehnsucht. Sie lässt keinen Platz für andere Gefühle. Auf diese Weise überquert er eine Straße nach der anderen und läuft dabei im Schatten, denn das Licht blendet ihn.

Ein Hund duckt sich.

Ein Kind lässt sein Eis fallen.

Er geht weiter.

Es ist Mittag und der Himmel ist wolkenlos. Der Mann hat kein Interesse an der Zeit oder dem Wetter. Es könnte Nacht sein, es könnte regnen oder schneien. Nichts verzögert seinen Schritt. Nichts lenkt ihn ab. Er ist frei vom eigenen Denken. Es ist der reinste Zustand des Seins und der Mann hat ihn erreicht. Er ist ein Pfeil, der von der Sehne geschnellt ist. Es gibt nur ein Ziel und darauf bewegt er sich zu.

Das Haus ist ein Haus von vielen. Mit Fenstern, Türen und Zimmern, mit Menschen, die reden, schlafen und denken. Die Fassaden sind alle in der gleichen Farbe gestrichen, die Hecken haben eine Höhe. Früher hat es den Mann gestört. Er wollte anders sein. Also hat er der Garage einen rot-grünen Anstrich verpasst und zu Weihnachten verrückte Beleuchtungen um die Fenster herum angebracht. Jetzt interessiert es ihn nicht mehr, wie sein Zuhause aussieht. Farben und Formen haben ihre Bedeutung verloren.

Er überquert die Straße.

Die Haustür ist unverschlossen.

Er tritt ein und geht durch den Flur und bleibt stehen, als ihm ein Junge den Weg versperrt.

»Papa?«

Der Mann sieht den Jungen an, der Junge sieht den Mann an, nichts weiter geschieht, dann streckt der Junge vor Glück beide Arme in die Luft, als hätte er das entscheidende Tor geschossen. Er ist fünf Jahre alt und nur mit Shorts bekleidet, sein Oberkörper ist nackt und an seinem linken Daumen klebt ein Pflaster. Der Junge hat sich noch nie so glücklich gefühlt. Er rennt auf den Mann zu und umschlingt seine Beine. Und klammert sich fest. Und klammert sich fest.

»Mama, Papa ist wieder da!«, ruft er laut. »Papa ist wieder da!«

Der Mann rührt sich nicht.

Der Junge schaut zu ihm hoch und bemerkt jetzt erst, dass etwas anders ist. Der Mann schaut nicht mehr zu ihm runter.

Als wäre ich nicht da, denkt der Junge und sagt:

»Ich wusste, dass du zurückkommst.«

Und er sagt:

»Ich habe es Mama verraten, aber Mama hat mir nicht geglaubt.«

Der Mann macht einen Schritt nach vorn, der Junge wird von seinem Bein zur Seite geschoben, der Mann geht weiter.

Durch den Flur und die Treppe hoch.

Er ist dem Ziel so nahe.

Eine Tür.

Noch eine Tür.

Da.

Angekommen.

Die Mutter hat den Jungen rufen gehört, aber kein Wort verstanden, denn die Terrassentür ist wegen der Fliegen nur einen Spalt geöffnet. Der Garten liegt noch im Schatten, bald werden sie die Vorhänge zuziehen müssen, um die Hitze auszusperren.

Die Mutter sitzt unter dem Kirschbaum auf einer Bank und nippt von ihrem Wein. Seit dem Erwachen hat sie sich auf diesen Moment gefreut. Eine Wespe umsummt ihr Glas, sie wedelt sie weg und wünscht sich, jemand würde für eine Weile auf den Jungen aufpassen. Am besten wäre es, wenn er zu einem seiner Freunde ginge. Der Mutter ist im Moment alles zu viel. Was würde sie nicht für zwanzig Stunden ununterbrochenen Schlaf geben.

Die Terrassentür gleitet auf und da steht der Junge und sie bereut es sofort, ihn weggewünscht zu haben. Sie sind seit einer halben Stunde vom Bestatter zurück und der Junge hat sich sofort umgezogen. Er stand vor dem Spiegel und sagte immer wieder: »Das bin ich nicht.«

Das Jackett, die Hose, das Hemd, die Schuhe.

Nein, das war er nicht.

Jetzt ist sein Oberkörper nackt und die Rippen drücken gegen die Haut wie Äste, die sich dem Frühling entgegenstrecken. Der Junge ist so dürr, dass sich die Mutter manchmal Sorgen macht.

»Mama!«, ruft er.

»Ich bin müde«, sagt sie.

»Aber Papa ist wieder da!«

»Nicht«, sagt die Mutter und ihre Stimme ist so schwach, dass der Junge sie überhört.

»Aber Papa ist wieder da!«, wiederholt er aufgeregt.

Sie winkt ihn zu sich, umarmt ihn und drückt seinen Kopf an ihren Bauch. Er hört es gluckern und wünscht sich, er hätte den Röntgenblick und könnte sehen, was da so im Bauch seiner Mutter vor sich geht. Sie streicht über sein Haar und würde viel dafür geben, diese Zuversicht wieder zu besitzen. Dieses Wissen, dass jeder Morgen ein guter Morgen ist, weil jemand da ist, der sich um einen kümmert. Seitdem sie mit dem Jungen allein ist, hat sich eine Kluft aufgetan. Jeder Morgen ist einfach nur ein weiterer Morgen, den sie hinter sich bringen muss.

»Ich leg mich ein wenig hin«, sagt sie.

»Aber wirklich wirklich«, sagt der Junge, »Papa ist zurück!«

Sie lächelt, sie ist eine gute Mutter, sie ist aber wirklich sehr müde. Morgen geht es weiter, denkt sie und fürchtet sich vor dem nächsten Tag. Der Junge gibt nicht auf, er zieht an ihrer Hand, sie seufzt und folgt ihm, lässt sich ins Haus und die Treppe hochführen.

»Ich wusste, dass er zurückkommt«, plappert der Junge weiter. »Sie haben es mir gesagt. Und was ich weiß, das weiß ich, so ist das nun mal.«

Die Mutter bleibt auf dem obersten Treppenabsatz stehen, sodass der Junge sie nicht weiterziehen kann. Sie hockt sich hin und fällt beinahe hintenüber. Sie weiß nicht, ob sie zwei oder drei Gläser Wein getrunken hat. Sie bereut es, die Flasche nicht mit hochgenommen zu haben.

»Du gehst jetzt in dein Zimmer und spielst ein wenig«, sagt sie, »und Mama geht in ihr Zimmer und schläft ein wenig. Danach schauen wir, was uns Tante Julia zum Nachtisch in den Kühlschrank gestellt hat, einverstanden?«

»Aber …«

Sie legt ihren Zeigefinger auf seine Lippen. Es ist ein altes Spiel. Wer dem anderen als Erster den Zeigefinger auf die Lippen legt, der hat den Zauber und der Zauber ist Schweigen.

»Ganz ehrlich«, sagt sie, »ich muss schlafen.«

Der Junge spürt die Tränen hochkommen und blinzelt sie weg. Er hat in den letzten Tagen so viel geweint, er will nicht mehr. Also nickt er und gibt seiner Mutter einen Kuss auf den Finger. Danach geht er in sein Zimmer, dreht sich aber im Türrahmen um.

Gleich, denkt er, gleich wird sie sehen, dass ich recht habe.

Die Mutter schließt die Schlafzimmertür hinter sich.

Der Junge wartet. Er wartet geduldig, dass seine Eltern gemeinsam das Zimmer verlassen und sagen: Alles ist wieder gut. Er wartet und wartet und schreckt zusammen, als er seine Mutter schreien hört. Hoch und spitz. Dann ist es wieder still.

Wenn ich mich freue, klingt das anders, denkt der Junge und wartet weiter.

Vier Minuten, bevor die Mutter schreit, lehnt sie mit der Stirn an der geschlossenen Schlafzimmertür und glaubt, dass es ein Fehler war, dem Jungen die Grabstelle seines Vaters zu zeigen. Sie fühlt sich ausgelaugt und wie sie da an der Tür lehnt und sich fragt, wie sie die Beerdigung morgen früh überstehen soll, bemerkt sie den Geruch. Creme oder Lotion. Sie hebt die Hände an ihre Nase, riecht an ihrer Bluse.

Nein, der Geruch kommt von woanders.

Sie tritt ans Fenster und klappt es an. Eine warme Brise weht herein, der Geruch wird intensiver. Sie lässt die Jalousien bis auf einen schmalen Spalt herunter. Das Zimmer versinkt im Halbdunkel. Sie riecht erneut an ihren Händen. Nichts.

Nur einen Moment schlafen, denkt sie, mehr will ich nicht.

Sie wendet sich dem Bett zu und erstarrt. Der Mann liegt da, wie er da immer gelegen hat. Auf der Seite, Arme und Beine angewinkelt, als wollte er in sich verschwinden. Sie wagt es nicht, näher zu kommen. Im Dämmerlicht wirkt sein Gesicht wächsern, die Decke ist bis zu seinem Kinn hochgezogen.

Wie immer, denkt sie und wartet, dass er verschwindet, dass er sich wie ein wirrer Gedanke aus den Laken löst und nur einen Abdruck zurücklässt. Eine Illusion, die durch Müdigkeit, Hitze und Alkohol entstanden ist.

Aber er liegt da und er bleibt da liegen.

Er ist hier, denkt sie, er ist …

Sie bemerkt, dass der Geruch vom Bett kommt. Sie bemerkt die Schuhe, die unter der Decke hervorschauen. Schwarzer Lack mit Ledersohle. Sie hat die Schuhe vor zwei Tagen für den halben Preis gekauft, weil die Verkäuferin Mitleid mit ihr hatte. Sie wurden nie getragen und jetzt sind die...

Erscheint lt. Verlag 30.3.2015
Reihe/Serie Der letzte Engel
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte ab 14 • Berlin • eBooks • Engel • fantastischer Thriller • Faröer-Inseln • Gebrüder Grimm • Jugendbuch • Spiegel Bestseller Autor • Spiegel-Bestseller-Autor • spiegel bestseller autor, Spiegel-Bestseller-Autor, fantastischer Thriller, Engel, Berlin, Jugendbuch, Gebrüder Grimm • Thriller • Young Adult
ISBN-10 3-641-15649-1 / 3641156491
ISBN-13 978-3-641-15649-7 / 9783641156497
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