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Von Zeit und Fluss (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2014 | 1. Auflage
1200 Seiten
Manesse (Verlag)
978-3-641-14335-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Von Zeit und Fluss -  THOMAS WOLFE
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Neuübersetzung
Ein amerikanisches Epos, das seinesgleichen sucht - eine hymnische Daseinsfeier und das faszinierende Bekenntnis einer überschwänglichen, allumspannenden Künstlerseele. Thomas Wolfes «Von Zeit und Fluss» ist ein Herzensbuch für alle Suchenden und Sehnenden, ob jung oder alt, eine Meditation über die Geschicke des Menschenlebens - über Bestand und Unbestand, Endlichkeit und Dauer.

Eugene, lebenshungrig und unerfahren, ist auf der Suche nach sich selbst, nach seinem Bestimmungsort in der Welt. In Harvard und im New York der Zwanzigerjahre sammelt er erste Erfahrungen, lernt zu lieben, zu erkennen, zu denken, sich von falschen Vorbildern loszusagen und sich dabei selbst treu zu bleiben. Bloß keine Erstarrung in Routinen - alles in seiner reifenden Seele ist noch im Werden, in permanenter Umgestaltung. Der Held macht sich auf nach Paris, doch auch an diesem Sehnsuchtsort lässt ihn sein abenteuerliches Herz keine Ruhe finden. Was Eugene antreibt und was er sich über alle Wechselfälle des Lebens hinweg erhält, ist der Hunger nach Erkenntnis und sinnlichem Genuss. So folgen aus seiner Selbstsuche philosophisch und spirituell höchst anregende Refl exionen über das menschliche Dasein - über Sein und Werden, Zeit und Fluss.

Thomas Wolfe (1900-1938) wurde als letztes von acht Kindern in Asheville, North Carolina, geboren. Aus bescheidenen Verhältnissen stammend, schaffte es der hochbegabte Junge bis nach Harvard und wurde Dozent für amerikanische Literatur an der New York University. Kaum hatte sein Schaffen weltweit Anerkennung gefunden, als er im Alter von nur siebenunddreißig Jahren starb.

7

Der Zug eilte weiter durch das braune herbstliche Land, vorbei am blinkenden Wasser und den felsigen Küsten, den weißen Städtchen und flammenden Farben und der einsamen, tragischen und ursprünglichen Schönheit Neuenglands. Es war das Land seiner Herzenssehnsucht, die dunkle Helena, die ewig brannte in seinem Blut – und dieses Anstürmen nun durch das Oktoberland, die Rauchfahne, die an jenem Tag hinter der Lok den rauen grauen Himmel streifte!

Das Nahen der großen Erde, das Neuland, die verwunschene Stadt, die Reise, so rauchig, blind und halb erstickt, ins ehrwürdige Geflecht, ins Faszinosum der rußigen alten Barrikaden Bostons hinein. Die Straßen und Häuser, die an jenem Tag in solch beklemmend sonderbarer Vertrautheit vorüberglitten, die mächtige Lok, die ihrem Ziel entgegenschnaubte, und die große Bahnhofshalle voll beißenden Rauchs und dem bedächtigen Keuchen eines Dutzends Loks, die nun träge wie große Katzen dalagen, der mächtige Bahnhof mit seinem unablässigen Strom grenzenlosen Lebens und dem raunenden, fernen und doch machtvollen Gemurmel, das ihn ewig durchhallte, und dazu eine scharfe, näselnde Stimme, die eine Handbreit entfernt quäkte: «Die Zeit is knapp, aber Sie können’s ja versuchen.»

Dann sah er die schmalen, gewundenen, altersbraunen Straßen Bostons mit ihrem schweren Duft nach frisch geröstetem Kaffee, das Menschengewimmel in millionenfüßigem Hin und Her, das ferne Dröhnen und Murmeln der großen geheimnisvollen Stadt rundum, das leuchtende Wasser des Basin1 und das Murmeln des Hafenbeckens und seiner Schiffe, die Verheißungen des Ruhms und von tausend noch verborgenen, anmutigen und geheimnisvollen Frauen, die irgendwo warteten im Gewebe der Stadt.

Er sah die furiosen Straßen des Lebens mit ihrer endlosen Flut von einer Million Gesichtern, die gewaltige Bibliothek mit ihrer Million Bücher; oder war es nur ein einziger Moment in der urbanen Menschenflut um fünf, eine Stimme, ein Gesicht, ein kräftiges, kerngesundes Mädchen, das beim Bahnhof Park Street mit einem Lächeln an ihm vorübereilte und sich im starken Oktoberwind für einen Moment einprägte – Brust, Bauch, Arm und Schenkel und all das Kräftige, Kerngesunde – und dann in das Menschengewimmel eintauchte und für immer verloren war, unwiederbringlich.

War es in einem solchen Moment – Lokomotivenrauch, ein Bahnhof, eine Straße, das Summen der Zeit, ein Gesicht, das auftauchte, vorüberzog und verschwand und unvergesslich blieb – hier oder hier oder hier, in einem solchen Moment nicht festgehaltener Erinnerung, dass er Wut aus der Luft einsog, dass die Wut begann?

Er begriff es nie; doch nun ergriff ein wilder Furor sein Leben, und er wurde vom Traum der Zeit heimgesucht. Zehn Jahre würden kommen und gehen ohne einen Moment der Ruhe: zehn Jahre Furor, Hunger und unstete Wanderschaft in seinem jungen Leben. Und wofür? Wozu?

Von welchen Furien wird dieser junge Mann getrieben, die ihn immerzu über die ganze Erde jagen werden? Es ist das Denken, das an seinem eigenen Übermaß zugrunde geht, das Herz, das in der Not seiner Enttäuschung bricht. Es ist der Hunger, der von allem, was er sich einverleibt, noch weiter wächst, der Durst, der ganze Flüsse hinunterstürzt und sich doch nicht stillen lässt. Es ist die Million Menschen, die Million Gesichter, denen man begegnet und ihnen doch stets ein Unbekannter und Fremder bleibt. Es ist das nächtliche Durchforsten einer gewaltigen Bibliothek, aus deren tausend Regalen man Bücher zerrt, um sie mit dem Heißhunger der Jugend zu verschlingen.

Es ist der alte unruhige Geist, das ausgehungerte Herz, die rastlose Seele; es ist der vollständige Verlust von Hoffnung, Mut und aller Freude und dann ihr Wiedererwachen und die machtvolle Rückkehr der alten Ahnung, dass bald gefunden sein wird, wonach man im Leben blind und verzweifelt tastet – wonach alle Menschen seit je auf dieser Erde suchen – das eine Gesicht in der Million Gesichter, eine Wand, eine Tür, ein Ort der Gewissheit und des Friedens, an dem die Wanderschaft zu Ende ist. Was ist es denn, wonach wir Amerikaner auf dieser Erde stets streben? Warum haben wir so oft allein stürmische Meere befahren, haben nachts in tausend fremden Kammern gelegen und dem Rauschen der Zeit, der dunklen Zeit und der Gedanken gelauscht, bis Herz und Verstand, Leib und Gemüt elend und matt waren von der Frage: «Wohin soll ich jetzt gehen? Was soll ich tun?»

Er wusste nicht, in welchem Moment sie kam, doch sie kam unvermittelt und plötzlich. Und von diesem Moment an steckte er in den Fängen der wilden Furie, von diesem Moment an sollte er sein Leben mehr als jeder andere, dem er je begegnen würde, auf einsamer Wanderschaft zubringen. Warum oder wie dies kam, würde er nie begreifen, und doch war es so. Von nun an würde er – bis auf zwei Episoden – ein so einsames Leben führen, wie es einem modernen Menschen nur möglich ist. Und das hieß, dass die Anzahl Stunden, Tage, Monate und Jahre – die ganze mit sich allein verbrachte Zeit – unermesslich und außergewöhnlich wäre.

Und diese Tatsache war umso erstaunlicher, als er die Einsamkeit nie zu suchen schien und auch nicht vor dem Leben zurückschreckte oder versuchte, sich gegen irdisches Wüten und Toben abzuschotten. Im Gegenteil liebte er das Leben so sehr, dass sein Durst und Hunger danach ihn in den Wahnsinn trieben. Von diesem Furor, der ihn fünfzehn Jahre lang vorwärtspeitschte und -trieb, lässt sich nicht einmal ein Tausendstel erzählen, und mag das Erzählte noch so unglaublich klingen, so ist es doch wahr. Er wurde von einem Hunger angetrieben, der so wesenhaft, grausam und unabweisbar war, dass er die Erde und alles und jeden in ihr verschlingen wollte, und wenn ihm dies misslang, versank Eugene in einem Meer des Grauens und der Verzweiflung, ertrank in den mächtigen Fluten der Erde und fühlte sich krank, nichtig und hoffnungslos, abgetötet vom betäubenden Gewicht der Menschen und Dinge auf der Welt, von der ewig dahinströmenden und flutenden Menge.

Dann strich er nachts um die Bücherborde der Bibliothek herum, zog Bücher aus tausend Regalen und las darin wie ein Irrer. Der Gedanke an die vollen Regale machte ihn wahnsinnig: Je mehr er las, desto weniger schien er zu wissen – je mehr Bücher er verschlang, desto gewaltiger und unermesslicher kam ihm die Zahl jener vor, die er nie würde lesen können. Binnen zehn Jahren las er mindestens zwanzigtausend Bände – die Zahl ist bewusst eher zu niedrig angesetzt – und blätterte und stöberte in unzähligen weiteren. Das mag unglaublich klingen, doch entspricht es den Tatsachen. Wie Dryden über Ben Jonson schrieb: «Andere Leute lesen Bücher, doch er las ganze Bibliotheken»2 – so war es nun bei diesem jungen Mann. Nein, die gewaltige Bücherorgie brachte ihm weder Trost noch Frieden, weder Weisheit des Geistes noch die des Herzens. Stattdessen wuchsen Furor und Verzweiflung an dem, wovon sie sich nährten, und je mehr er verschlang, desto größer wurde sein Hunger.

Er las maßlos zu Hunderten, Tausenden, Zehntausenden und wollte doch kein Bücherwurm sein. Niemand konnte diesen irrsinnigen Ansturm auf alles Gedruckte als gelehrt bezeichnen: Heißhungrig verlangte es ihn, alles zu lesen, was je über das Los der Menschen geschrieben worden war. Er las nicht mehr aus Vergnügen – der Gedanke, dass bereits andere Bücher auf ihn warteten, nagte beständig an seinem Herzen. Er sah sich ein Buch ausweiden wie Geflügel. Wenn er sich an Bücherständen herumtrieb oder nachts die vollen Regale der Bibliothek plünderte, las er zunächst mit der Uhr in der Hand und bedachte die für jede Seite aufgewendete Zeit mit einem triumphierenden oder ärgerlichen Kommentar: «Fünfzig Sekunden dafür. Verdammt, das werden wir sehen! Wirst du wohl, du …?» – worauf er durch die nächste Seite in zwanzig Sekunden hetzte.

Dieser Furor, der ihn antrieb, so viele Bücher zu lesen, hatte nichts mit Gelehrsamkeit, nichts mit akademischen Ehren, nichts mit herkömmlichem Bildungseifer zu tun. Er war in keiner Weise ein Gelehrter und wollte auch keiner sein. Er wollte einfach über alles auf Erden Bescheid wissen; er wollte die Erde verschlingen, und die Erkenntnis, dass ihm dies nicht gelingen konnte, trieb ihn in den Wahnsinn. Und so verhielt es sich mit allem, was er tat. Mitten in einem furiosen Leseabenteuer in der imposanten Bibliothek durchbohrte ihn der Gedanke an die Straßen draußen und an die große Stadt ringsum wie ein Schwert. Dann schien es ihm, als wäre jede mit Büchern verbrachte Stunde vertan – als ereignete sich in den Straßen eben in diesem Augenblick etwas ungeheuer Kostbares, Unwiederbringliches, das ihm, könnte er es nur rechtzeitig sehen, helfen würde zu verstehen, was in ihm war – den Strom, den Quell, den Ursprung, aus dem alle Menschen und Worte und Taten und jedes Ansinnen auf dieser Erde hervorgehen.

Und er stürmte auf die Straßen hinaus, um es zu finden, durch den Tunnel nach Boston hineingeschleudert zu werden und dann Stunden damit zuzubringen, durch Hunderte Straßen zu preschen und einer Million Menschen in die Gesichter zu schauen, im Bestreben, sich augenblicklich ein schlüssiges Bild von allem, was sie taten und sagten und waren, zu machen, von ihrer Million Schicksale und von der großen Stadt und der ewigen Erde und den unermesslichen und einsamen Himmeln, die sich über ihnen wölbten. Und er durchforschte die furiosen Straßen, bis Mark und Bein und Blut genug davon hatten – bis jeder einzelne Nerv seines Lebens und Denkens angespannt, zittrig und erschöpft war und ihm unter der Last von Not und Verzweiflung das Herz...

Erscheint lt. Verlag 20.10.2014
Nachwort Michael Köhlmeier
Übersetzer Irma Wehrli
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Original-Titel Of Time and the River
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Amerikanische Literatur • eBooks • Frankreich • Genius • Gesellschaftsroman • Jude Law • Klassiker der Moderne • Maxwell Perkins • New York • Nicole Kidman • Paris • Roaring Twenties • Roman • Romane • Selbstfindung
ISBN-10 3-641-14335-7 / 3641143357
ISBN-13 978-3-641-14335-0 / 9783641143350
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